Dance Machines

Erste kongruent funtionierende VR Multiplayer Anwendung mit individuell steuerbaren Audio- und Videoinhalten!

2022
Tanzproduktion VR Multiplayer

Das Studio für unendliche Möglichkeiten hat mit Unterstützung des Development-Team von HTC einen funktionierenden Prototypen entwickelt, der folgendes zuverlässig leistet:
12 Menschen sind in einem Raum und tragen Vive Focus 3 Headsets. Sie betreten einen virtuellen Raum, der sich kongruent zum physischen Raum verhält (Boden, Wände und Objekte sind in VR und analog deckungsgleich) und sie sehen einander in Echtzeit als Avatare.
Die Räume können für alle - oder aber für einzelne User*innen - fortlaufend verändert werden. Auch in der Audioebene können die User*innen individuelle Inhalte an alle oder nur zu einzelnen Avataren senden oder empfangen.
Dieser VR-Multiplayer-Prototyp wurde im Rahmen Produktion "Dance Machines" von der Choreografin Regina Rossi das erste mal auf K3 Tanzplan Hamburg Kampnagel künstlerisch angewendet, mit vielen jugendlichen Besucher*innen durchgetestet und erfolgreich zur Premiere gebracht. Die Anwendung läuft stabil und löst immer wieder große Begeisterung bei den Teilnehmenden aus.

Spitzentechnologie als Kulturtechnik nutzen.

In einem der Studios von K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg auf Kampnagel passiert an einem Freitag im Juni 2022 etwas außergewöhnliches.
11 Jugendliche und ich stehen im Kreis, wir setzen VR Headsets der neuesten Generation auf den Kopf und betreten einen digitalen Raum. Die Wahrnehmung des digitalen Raums und die physische Präsenz des realen Studios sind kongruent: der Boden, der in der Brille sichtbar ist, ist der Boden unter unseren Füßen, die Wände des digitalen Raums sind die Wände des Studios. Und - was bisher noch niemandem gelungen ist - wo eben noch 11 andere Jugendliche standen, sind jetzt in der Brille 11 Avatare sichtbar, die zwar anders aussehen, als die Menschen, die vorher dort waren, sich aber genauso so wie diese bewegen. Alle Teilnehmenden sehen alle anderen Avatare: wo sie stehen, wie sie durch den Raum gehen und eben: wie sie tanzen.
Denn darum geht es heute ganz konkret: die Fragestellung, die Regina Rossi in "Dance Machines" vorgibt, lautet: "Wie kann der Tanzunterricht der Zukunft aussehen?" Das Tanzen mit einem anderen Avatar und einfache Setzungen wie Nachtanzen, Spiegeln, Begrüßungsgesten, hat als Einstieg in diese Welt, die niemandem vertraut ist, deren Regeln wir gerade gemeinsam beginnen zu lernen, sehr gut funktioniert.
Die Landschaft, in der Fachsprache "Map" genannt, entspricht zwar physikalisch dem Boden und den Wänden des analogen Raums, aber die Gestaltung nicht. Die digital-technische Leiterin, Entwicklerin und Designerin Gloria Schulz hat zusammen mit der Bühnenbildnerin Doris Margarete Schmidt einen offenen Basketballplatz in einer tropischen Inselumgebung gestaltet. Palmen ragen in einen tropischen Abendhimmel und man hört Vögel und Meer.
Die Aufgaben steigern sich: wo beim Duett eher die Erinnerung an das Aussehen des eigenen Körpers und der Gedanke, wie das für die anwesenden Menschen ohne VR Headset von Außen aussehen könnte, im Vordergrund steht, so ist es dann bei Aufgaben wie "Folgt schnell zu zweit diesem roten Punkt auf dem Boden" die Angst mit anderen Teilnehmer*innen zusammen zu stoßen.
Es gibt noch einen Moment, der das emotionale Potenzial dieser Kulturtechnik aufschließt: An einer Stelle werde ich aufgefordert, die Avatarin, mit der ich eben noch getanzt habe auf ein Palmenblatt zu heben. Das Blatt erscheint ganz realistisch an meiner Hand und der dicke Stiel des Palmenblatts verschmilzt mit dem haptischen Eindruck den meine Hand von dem Controller aus Hartplastik hat (den ich sowieso halte). Auf dem Blatt ist die gleiche Person, die gleiche Avatarin, mit der ich eben noch getanzt, etwa 15 cm groß, aber ganz detailliert und genauso tanzend wie vorher. Ich kann sie direkt vor mein Gesicht halten und sehe jedes Detail, jede Muskelbewegung am Schlüsselbein, jeden Impuls in den Händen, jeden Atmer vor einem Sprung. Es ist völlig klar, dass das eine lebendige Person ist, die auf meiner Hand tanzt, kein Roboter und keine Puppe. Nichts hat mich auf diese ganz neue, sehr intime Form der Begegnung vorbereitet. Die Sequenz ist überhaupt nicht lang, aber diesen Eindruck, einen lebendigen, tanzenden Menschen auf meiner Hand zu sehen, werde ich nicht vergessen. (Um das möglich zu machen wurden über sechs Wochen immer wieder Aufnahmen mit einem "Motion Capture" Anzug von den Tänzerinnen der Produktion angefertigt und bearbeitet.

Nach etwa einer halben Stunde endet der erste Teil. Wir Teilnehmenden tauschen jetzt die VR Headsets gegen Kopfhörer und nehmen auf einer kleinen Tribüne platz. Von dort können wir den nächsten 12 Menschen dabei zuschauen, wie sie sich mit den VR Headsets halb im digitalen, halb im analogen bewegen. Besonders schön ist es, bestimmte Szenen wieder zu erkennen: Eben das Solo auf dem Palmenblatt, oder auch die Sequenz, in der alle einem immer wieder anfliegenden Vogelschwarm ausweichen müssen. Der Kulturjournalist Falk Schreiber meint dazu im Hamburger Abendblatt: "Hier erkennt man plötzlich, was für berührende, auch ästhetische ansprechende Bewegungen man vollführt, während man sich in der digitalen Illusion verliert."
Es scheint eine sehr gute Wahl dieses erste Projekt, das diese prototypische Anwendung nutzt, für Jugendliche zu konzipieren: die hohe Kompetenz junger Menschen neue, digitale Kulturtechniken zu verstehen und anzuwenden, die Vertrautheit mit vielfältigen Spielkonzepten, aber auch die sehr affirmative Einstellung zum schnellen Erlernen kurzer Tanzsequenzen (wie bei TikTok) werden vom "Dance Machines"- Team als wichtiger Einfluss auf die Ausarbeitung dieses Stückes genannt.
Realistisch betrachtet werden vielleicht 500 Menschen diese Produktion erleben, vielleicht - mit viel Glück - um die 1000. Das ist nichts im Vergleich mit den Hoffnungen, die normalerweise mit der angeblich beliebigen Skalierbarkeit digitaler Anwendungen postuliert werden. Was hier passiert, ist, dass eine Choreographin und eine Programmiererin und Digitalkünstlerin gemeinsam eine digitale Spitzentechnologie nehmen, sie mit einem künstlerischen Ziel weiterentwickeln, und so eine digitale Kulturtechnik formulieren, die es vorher noch nicht gab. Sie wenden sie zeitlich und räumlich stark beschränkt ein. Vielleicht auch, um nicht diese kleinen, magischen Momente überraschender Intimität zu verlieren. Und dieses gemeinsame Gefühl, wenn die Teilnehmenden den Raum verlassen: alle, die eben hier waren, werden sich immer daran erinnern, wie sich diese neue Kulturtechnik das erste mal angefühlt hat, keine wird es vergessen.
Unendliche Zukunftsszenarien:
Wenn wir von hier aus in die Zukunft schauen, was sind weitere Anwendungen, von denen wir ausgehen können, dass wir sie in ein paar Jahren ausprobieren können?
Bleiben wir zunächst bei der vom Studio für unendliche Möglichkeiten entwickelten Anwendung:
Im nächsten Schritt, der diese Möglichkeiten nochmal unendlich potenziert, können die Avatare aller anderen definiert werden. Sie können einerseits für sich selbst jede erdenkliche Erscheinung haben, können dann aber den anderen Teilnehmer*innen wiederum anders dargestellt werden. Das heißt, ich sehe mich selber als Nurejew und alle anderen sehen mich aber als Pipi Langstrumpf. Und um es noch eine Umdrehung weiter zu spinnen: Eine andere Teilnehmer*in sieht mich als Pipi Langstrumpf, eine andere als Bud Spencer, eine als Homer Simpson, oder als Virginia Woolf und für eine andere bin ich unsichtbar.
Und um es komplett verrückt zu machen: diese Erscheinungen der anderen können fortlaufend verändert werden! Die äußere Erscheinung kann sich konstant wandeln.
Wir kennen noch gar nicht die Regeln, nach denen diese Räume funktionieren, und nach denen wir dort spielen, tanzen und Beziehung treten werden. In den nächsten Jahren werden wir sie gemeinsam lernen

Team
Konzept, Künstlerische Leitung, Choreographie: Regina Rossi
Programmierung, 3D Design, technisches Konzept, Motion Capture: Gloria Schulz (Studio für unendliche Möglichkeiten)
Tanz, Avatare: Nora Elberfeld & Sarah Lasaki
Musik: Sven KacirekAusstatter/ -in:
Doris Margarete Schmidt
Dramaturgie: Kirsten Bremehr
Dramaturgische Beratung: Christopher Weymann
Vermittlungsformate: Pauline Schönfelder
Presse und Öffentlichkeitsarbeit: Stückliesel
Produktionsleitung: Isabelle Wapnitz
Mitarbeit Programmierung & Motion Capture: Jeffrey van der Geest (Studio für unendliche Möglichkeiten)

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